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LEP#187 – Ein Gespräch mit Carola Bendl-Tschiedel

Carola Bendl-Tschiedel ist seit mehr als einem Jahrzehnt ein Garant für pfeilschnelle Zeiten. Aber wie ist es dazu gekommen? Warum hat sie zum Laufen angefangen und was treibst sie an? All das und noch viel mehr erzählt sie uns in der aktuellen Folge.

Carola hat auch zwei Rennberichte zum Berlin Marathon 2022 und zum New York 2022 verfasst – hier könnt ihr nachlesen, wie sich Major Marathons aus Sicht einer Sub 3 Läuferin anfühlen:

Berlin Marathon 2022

Berlin 2022

Der Plan

Es war eigentlich ganz anders geplant: Am 27. August wollte ich, ebenfalls in Berlin, bei der 100-km-Weltmeisterschaft starten. Da ich aber nach 13 Jahren wieder einmal Lust auf den Berlin Marathon hatte, bei der 100 km Weltmeisterschaft immer die Gefahr einer Absage einkalkuliert werden musste (bei Ultralauf-Weltmeisterschaft grundsätzlich und in Corona-Zeiten umso mehr) und ich irgendwann einmal die 10 Teilnahmen für den Jubilee-Club erreichen wollte, hatte ich mich also im Dezember für den Marathon angemeldet. Mit den 2.56:15 vom Linz Marathon im Oktober 2021 hatte ich ja das Limit für einen fixen Startplatz. Ich wollte den Marathon also vier Wochen nach der WM locker als Mehr-oder-weniger-Trainingslauf laufen und fünf Wochen später in New York (dazu kommen wir noch) voll angreifen.

Das war also der Plan.

Ambitioniert durch die Stadt düsen

Es kam anders.

Planänderung

Im Frühling hatte ich ab Ostern Schmerzen im rechten Unterschenkel. Den Wien Marathon zog ich noch durch, aber dann wollte ich die Sache auskurieren. Was sich sehr langwierig gestaltete. Im Juni war immer noch kaum Laufen möglich und auch im Juli ging es nur kurz und mit Schmerzen. Ende Juli fühlte mich irgendwie für drei Covid-Erkrankte (denen es eh relativ gut ging, es gab damals aber noch die Quarantänepflicht) „verantwortlich“ und war auch sicher, mich angesteckt zu haben. Dem war nicht so, aber die Anspannung verschlechterte meine Verfassung noch weiter und so sagte ich, ca. vier Wochen vor dem WM-Termin, ab. Ich war zu dem Zeitpunkt einfach nicht in der Lage, ein Training nach Plan durchzuziehen. Manchmal hatte ich einen guten Tag und konnte laufen, dann wieder nicht – es war mir nervlich einfach zu aufreibend. Ein Lauf > 20 und ein Lauf > 25 km waren einfach kein Ultratraining. Meine Entscheidung wurde nicht gänzlich gutgeheißen, aber zu oft bin ich schon bei (großen) Bewerben angetreten, wo ich besser zu Hause im Bett hätte bleiben sollen, nur um irgendwen nicht zu enttäuschen. Und die Rechnung bekam ich natürlich regelmäßig sehr schnell präsentiert. Nein, diesmal wollte ich das nicht schon wieder.

Ab Mitte August wurde es dann besser. Da steckte aber auch viel Arbeit dahinter: Ein Mal die Woche Arzttermin mit Akupunktur, Laser, etc., ein Mal die Woche Physiotherapie, ein Mal die Woche Massage. Aber gut, ich wollte die Schmerzen ja loswerden. Meine Kilometerumfänge habe ich mir zum Glück nie angeschaut – erst jetzt. Da gab es eine (Urlaubs-)Woche mit 90,2 km, eine Woche mit 62,5 km – die anderen zwischen 51 und 58 km. Manchmal ist es gut, dass ich zu wenig Zeit habe und mir meine Trainingsaufzeichnungen nicht in der Übersicht ansehen kann. 😀

Berlin kam näher, das Gefühl bei den Trainings – sowohl Tempotraining als auch lange Läufe im Wienerwald – wurde besser. Daher begann ich den Versuch, mich ein bisschen zu organisieren. Und entdeckte Schlimmes: Ich hatte mich für den Vienna Nightrun und für den Business Run angemeldet 😮 Die waren beide in der Woche vor Berlin, Dienstag und Donnerstag. Der Business Run war ursprünglich für den August geplant, aber wurde dann um ca. einen Monat verschoben – und ich hatte, da Berlin ohnehin nur ein „Jog“ hätte werden sollen, einfach nicht genau geschaut. Oje. Schon angemeldet wollte ich dann auch nicht nicht starten.

Besprechung mit dem Trainer: Night Run schnell laufen ist OK, Business Run (da ich ohnehin in keinem schnellen Team war) WIRKLICH (!!) locker.

Gut.

Also erstmal der Nightrun. Irgendwie hatte ich die ganze Zeit im Hinterkopf die Angst einzugehen – bei einem Fünfer nach drei Kilometer „liegenbleiben“ ist ja wirklich nicht schön. So kam es, dass ich auf einmal im Ziel war und Reserven hatte. Ich kann mich nicht erinnern, wann mir das bei einem kurzen Wettkampf zuletzt passiert ist! Und die Uhr zeigte aber eine Pace von 3:39 min/km (eigene Messung, offiziell 3:34, aber die Streckenlänge vom Nightrun, naja, lassen wir das …). Das war (für mich) echt schnell! Mein zweitschnellster Nightrun.

Da begann es in meinem Kopf zu rattern … Wenn ich auf einem „Fünfer“ so schnell bin, obwohl ich diesmal wenig Tempo trainiert hatte, dann könnte das für den Marathon einiges versprechen. Der Vergleich zum Vorjahr: Da war ich drei Wochen vor dem Linz Marathon beim Frauenlauf 5er (AIMS vermessen) einen Schnitt von 3:46 gelaufen. Jetzt war es – am Ring auf welligerer Strecke – doch deutlich schneller. Und die Strecke in Berlin ist bekannterweise ja auch eher eine von den schnelleren 😉 Auf der Gegenseite stand allerdings, dass der Frauenlauf damals drei Wochen vor dem Marathon war, also noch im Aufbau, während ich jetzt schon am Ende des Trainings stand. Der Gedanke, dass ich auf einmal jetzt schon in Form sein könnte, machte sich wirklich plötzlich breit. Nach dem miserablen Sommer hatte ich eher gedacht „Wie gut, dass NY erst im November ist, bis dahin könnte sich ja ein ordentliches Training ausgehen …“ Also nach allen zur Verfügung stehenden Informationen sollte sich eine Zeit unter drei Stunden ausgehen. Im direkten Vergleich zu Linz sogar wohl eine 2:55er-Zeit – aber das kam mir schon SEHR mutig vor!

Zweites Oje bezüglich der Planung war, dass ich eigentlich am Freitag für eine entspannte Anreise frei nehmen wollte. Dienstag und Donnerstag Wettkämpfe, Freitag Abreise – irgendwann sollte ich ja auch packen und mich ausruhen. Aber nein: Die Aufsicht hatte sich in der Arbeit für einen Besuch angekündigt und auch ich durfte Rede und Antwort stehen. Anstatt also Freitag Vormittag gemütlich anzugehen hieße es noch am Donnerstag nach dem Business Run meine Siebenzwetschgen einzupacken (Spoiler!! Diese Stelle wird noch wichtig, also gut aufpassen! 😉 ), Freitag ins Büro zu pilgern, dort eine hoffentlich gute Performance abzuliefern und dann gleich aus der Business-Einserpanier ins Reiseoutfit hüpfen und zum Bahnhof zu sausen. Immerhin war letzteres ein kurzer, unkomplizierter Weg.

Ahja, und der Business Run: Ich nahm mir zu Herzen, dass ich locker laufen sollte und den Wettkampf in einen Lauf von insgesamt einer Stunde packen sollte. „Locker“ heißt also auch natürlich: Keine Wettkampfschuhe. Was macht frau also: „Welche Trainingsschuhe passen farblich gut zu meinem Outfit? Ahja, die LunarTrainer aus dem Praecambrium, die nehm‘ ich!“ So weit, so gut – ich lief also, vorsichtig gestartet, immer bedacht, nicht unter 4:00 zu kommen, was sich zu diesem Zeitpunkt tatsächlich nicht schnell anfühlte. Trotzdem überholte ich auf der zweiten Hälfte ziemlich viele – Tempogefühl ist beim Business Run Mangelware. Beim Weiterlaufen spürte ich dann aber: Die Schuhe waren ziemlich brettlhart, das war nicht meine beste Idee. Aber gut, jetzt war es zu spät, bis zum Sonntag würde es hoffentlich gut werden. War es dann auch, aber am Donnerstag fühle es sich an, als wäre ich mit einer Eisenstange verprügelt worden. Danach am Team-Buffet noch ein Carboloading bei Lasagne und Kaiserschmarrn absolviert, dass die Kolleg*innen nur so in Staunen kamen und trotz „langsamen“ Laufs den Preis für die „Schnellste Postlerin“ eingeheimst und auch der Business Run war Geschichte.

zu Schnell gestartet – aber bremsen geht auch nimmer

Vorbereitung done – Abenteuer on

Am Freitag ging alles glatt, sowohl am Vormittag dienstlich als auch zu Mittag logistisch auf dem Weg zum Bahnhof. Es war meine erste Fahrt nach Berlin mit der Bahn. Im Juli, zur Zeit katastrophaler Flugverspätungen und -ausfälle kam mir diese Idee in den Sinn. Das Öko-Gewissen plädierte auch stark für die Bahn-Variante. Und als ich sah, anders als man es vielleicht von früher gewöhnt ist, dass ein Flug mehr als vier mal so viel kosten würde (!!), war die Entscheidung klar. Weil damals dachte ich ja auch noch: Berlin wird ja eh nur ein Spaßlauf, also probier doch mal die Bahn aus. 😉

Die Bahnfahrt war ganz OK, es gab nur einen wirklich verwirrenden Punkt: Ca. einen Monat vor der Reise bekam ich die Benachrichtigung, dass sich der Fahrplan geändert hätte. Gut, kann vorkommen. Nur waren die beiden Zeitpläne identisch – bis vor Berlin. Dann auf einmal gab es ein zeitliches Loch von ca. einer halben Stunde. Was machen wir? Stehen wir da einfach herum? Aber egal, ich konnte es eh nicht ändern. Im Zug wurde dann aber wieder der ursprüngliche, schnellere, Plan angezeigt. Ich freute mich. 21:58 oder 22:26 anzukommen macht doch einen Unterschied. Als wir dann aber zum zweiten Mal in „Berlin Ostkreuz“ (das noch dazu, um die Verwirrung zu steigern, als „Berlin Ostbahnhof“ angesagt wurde), hielten, machte sch Nervosität breit. Was war los? Waren wir im Kreis gefahren? Ja, waren wir vermutlich tatsächlich. Wie ich später aufgeklärt wurde, kamen an dem Tag so viele Züge in Berlin an, dass teilweise Extraschleifen nötig wurden.

Kurz vor 23:00 war ich dann aber endlich in meinem Hotel! Die Bahnfahrt war nicht schlecht, aber doch auch anstrengend. Wie ich es beim nächsten Mal machen werde? Noch keine Ahnung. Aber hoffentlich zumindest mit weniger Stress in der Woche davor.

Der Plan für Samstag war eigentlich nur: Laufen gehen, Startnummer Abholen, Essen. Ausruhen. VIEL Ausruhen!!

Prerace Day

Der Wecker ging um 07:20 los und ich lief Richtung Tempelhof zum Frühstückslauf. Am Plan stand „40 Minuten locker laufen mit 4 x beschleunigen“. Gut, Tempelhof war nur ca. 7 km entfernt, aber mit dem ca. 5 km Frühstückslauf in (wie ich dachte und von früher kannte) 6:00 oder langsamer würde es schon hinkommen. Ich kam also am Flugfeld an und der Tross setzte sich auch schon in Bewegung. Die Runde über das Flugfeld war nett, aber die frühere Strecke vom Schloss Charlottenburg zum Olympiastadion fand ich schöner. Aber wie war das mit dem Tempo? Sechserschnitt oder langsamer? In 4:48 wetzten sie dahin, schneller als ich davor alleine! Aber gut, dann ist es schneller wieder erledigt und ich bin schneller beim Frühstück (und dann beim zweiten Frühstück). Wieder zurück beim Start gab es Krapfen / Berliner / Pfannkuchen (so sollten es alle verstehen 😉 ) und Laugenbrezel. Laugenbrezel sind super!! Nicht so süß! Da geht genug rein und das Carboloading wird dann fortgesetzt. 🙂

Nach dem Lauf ging es zurück zum Hotel um dort gleich weiterzufrühstücken. Damit war das Carboloading wirklich weitgehend abgeschlossen. Startnummer abholen musste ich noch. Das wollte ich nicht gleich in der Früh beim Frühstückslauf erledigen, weil ich ja auch noch in Ruhe schauen wollte, was die Marathonmesse zu bieten hätte. Vorher legte ich mich aber noch ins Bett, um jetzt endlich mal zur Ruhe zu kommen.

Mittags dann zur Startnummernabholung. Dort war alles bestens organisiert. Beim Eingang Ausweis- und Anmeldebestätigungskontrolle, dann gab es das Armband, das den Zutritt zu Startnummernabholung und später auch Start ermöglichte. Die Expo war eher mau, vielleicht lag es aber auch an meiner Erschöpfung, dass ich nicht sonderlich shoppingmotiviert war. Also gleich zur Startnummernabholung. Anmeldebestätigung und Ausweis hergezeigt, der Typ am Schalter scannt und tippt und auf einem kleinen Bildschirm scheinen meine Daten auf. „Stimmt alles mit den Daten?“ Name OK, Geburtsdatum OK – Chipnummer?!? DAS DARF DOCH NICHT WAHR SEIN!!! „Oh!“ „Stimmt etwas nicht mit den Daten?“ „Doch, alles stimmt. Aber ich habe meinen Chip nicht mit.“ Oh nein … Und es lief schon Kopfkino ab, wie ich es OFT bei der VCM-Messe gesehen hatte: Der Schalter für Leihchips hatte Schlangen bis gefühlt zum Halleneingang hinaus und: Cash only. Was ich natürlich, wie meistens, nicht hatte. Also sicher mindestens einen Kilometer bis zum nächsten Bankomaten hatschen (und wieder retour) – und dabei war ich doch schon so erledigt! Tja, da hilft dir jetzt leider niemand … „Ich brauche bittet einen Leihchip. Wo bekomme ich den?“ „Dort gleich hinten“ Erster Glücksmoment: Keine Schlange bis nach Brandenburg – nur zwei Leute angestellt! Und: „Kann ich auch mit Karte zahlen?“ „Ja, kein Problem.“ ICH LIEBE MEINEN SCC!!! :-* Ich war mir ja beim Packen zwar sicher, dass auch bei Berlin der Chip in die Startnummer integriert wäre, wollte aber (sicher ist sicher) meinen Pentek-Chip doch mitnehmen. Nur irgendwie hatte ich es dann Donnerstag spät abends doch vergessen. 🙁

Dann also zum Troubledesk, mein Anliegen erklärt: Alles OK mit meiner Anmeldung, ich brauche nur einen Leihchip. Die Frau am Schalter war von meinem unkomplizierten Anliegen etwas verwirrt, so dass es dann doch wieder etwas kompliziert war. Und ich immer erledigter und erledigter. Als ich dann Startnummer und Chip hatte, wollte ich nichts wie weg und ins Bett (Spoiler!! Auch diese Stelle wird noch wichtig, also auch hier gut aufpassen 😉 )

Zurück im Hotel wollte ich noch erstmal meine Sachen für den Lauf herrichten und mich dann ins Bett legen. Schuhe, Socken, Top, Wegwerfgewand für vor dem Start, Gels, Maske, Startnummer … STARTNUMMER!!! Die war ja da, aber was mache ich mit ihr? Auf der Nase balancieren? ICH HABE DIE SICHERHEITSNADELN VERGESSEN!!! Beim „normalen“ Startnummernabholschalter hatte ich sie noch gesehen und wollte sie nehmen aber dann durch den Chip-Stress hatte ich ganz darauf vergessen. OH NEIN!! Ich hatte auch sonst nirgendwo welche eingesteckt. Natürlich lassen sich Sicherheitsnadeln irgendwo auftreiben, aber Berlin ist bekanntlich eine große Stadt und ich war eh schon so geschlaucht. 🙁 Da war mein Optimismus vom Dienstag / Mittwoch dahin und ich lag völlig fertig im Bett und hatte nur einen Gedanken: „Ich sollte mich am besten betrinken und morgen gar nicht starten!“ Die Messe hatte zwar noch offen, aber die Fahrt dorthin und dann noch bis ganz zum Ende des Geländes marschieren wollte ich mir nicht NOCH EINMAL antun, nur um Sicherheitsnadeln zu holen. Im Hotel gab es keine, das Housekeeping hatte seinen Dienst schon beendet „Morgen früh sollten sie wieder da sein und dann sollte es Sicherheitsnadeln geben“. Aber auf „sollte“ am Marathonmorgen wollte ich mich lieber nicht einlassen. So funkte ich also andere, von denen ich wusste, dass sie auch in Berlin wären, an, fragte nach ihren Koordinaten und ob sie Nadeln hätten. Ja, Nadeln waren vorhanden und Josef war ohnehin noch unterwegs, so konnte ich mich mit ihm auf halbem Wege treffen und bekam gleich zwei Sets Nadeln. VIELEN DANK, Josef!! Seither ist ein Bündel Sicherheitsnadeln in meiner Reisegeldbörse und ihr glaubt gar nicht, wie viele Nadeln ich dann in Linz und New York mithatte. 😉

Das war dann aber wirklich genug an Abenteuer! Ich verschickte zum Vier-, Sechs- und Achtaugencheck noch Fotos von meinen vorbereiteten Sachen: Alle waren der Meinung, das sah jetzt komplett aus. Den Rest vom Samstag verbrachte ich dann aber wirklich lesend und schlafend im Bett!

Raceday – Berlin

Sonntag war ca. 06:45 Tagwache. Früh, aber nicht extrem früh. Und ich fühlte mich endlich gut! Das Stress der vergangenen Woche und die „Dramen“ vom Samstag waren vorbei, jetzt war Fokus auf den Lauf. Mein übliches Frühstück – Semmeln mit Honig und viel schwarzer Tee. Und dann ging es auch schon los. Die S-Bahn schaukelte langsam Richtung Hauptbahnhof – gerade recht um noch ein bisschen zu dösen und zu denken, dass es im Bett jetzt doch eigentlich viel netter wäre. Aber Laufen ist ja auch schön. 🙂

Hinein ins Startgelände, wieder Kontrolle des Armbandes. Ich war eigentlich ziemlich früh dort. Aus der Vergangenheit hatte ich ärgeres Gedränge und Geschiebe in Erinnerung durch das man viel länger brauchte, bis man wirklich am Bestimmungsort war. Aber gut, das Wetter war in Ordnung, für’s Laufen sogar sehr in Ordnung und ich hatte eine alte Trainingshose, ein Kurzarmshirt und einen Plastikponcho, also frieren musste ich nicht.

Ortskundig war mein Plan, mich wieder in der linken Fahrspur einzuordnen, da dort weniger Gedränge ist. Also peilte ich den hintersten Startblock an, um durch diesen hindurch- und auf der linken Seite bis zu meinem nach vorne zu gehen. Beim ersten Versuch ließen sie mich (strenge Startblockkontrolle!) nicht durch („Sie müssen noch weiter nach vorne“), aber beim zweithintersten Block konnte ich unbemerkt hinein (und links wieder hinaus). Merken: Beim nächsten Mal einfach sagen „Ich begleite meine*n Freund*in (auf beliebige Person mit hinterstem Startblock zeigen) und daher starten wir beide in diesem Startblock“ oder „Ich habe nicht gut trainiert und möchte von weiter hinten starten“ – dann sollte es jedenfalls klappen. Links war es zum Aufwärmen etwas eng, aber für einen Marathon gut genug Wir waren hier ja nicht bei einem 3000 oder 5000 m Rennen.

Bei den Starts von Handbiker Elite, Rollstuhl und Handbiker, alle zu „Sirius“, war schon echtes Gänsehautgefühl da! Dann waren wir dran. Zuerst die Vorstellung der Elite. Da ich nicht weit dahinter war (Startblock B, der für Zeiten ab 2:42 vorgesehen war) bekam ich alles deutlich mit. Was für eine Stimmung lag da in der Luft! Alle wussten: Eliud hat etwas vor! Und die Bedingungen waren ausgezeichnet! Heute kann ein ganz großer Tag werden. Diese Anspannung war einfach ansteckend und ich (und wie mir schien, auch alle um mich herum) war in meinem Marathontunnel. Und dann ging es auch für uns los. Ich muss das jetzt einfach noch einmal hören: https://youtu.be/feoHV5JUbuo (aber auf der Straße des 17. Juni aus den richtig mächtigen Lautsprechern klingt es einfach viiiieeel besser!)

Start

Was hatte ich vor? Aus meiner Herumrechnerei und Vergleichen mit Linz hatte ich mich auf eine Pace von 4:10 eingestellt (und das beim Business Run auf die Frage, was denn meine Marathonpace wäre auch so gesagt – im nächsten Moment war ich über diese Aussage selbst geschockt 😮 ) Die 4:10 wollten bloß nicht so ganz klappen … Erster km in 4:07 – na gut, 4:07 ist auch nicht so arg schnell, du fühlst dich ja jetzt gut, das passt schon. Zweiter km in 4:10 – ja, so ist das gut, das ist genau der Plan. 4:05 – 4:06 – 4:04 – 4:07 – alles OK, das passt schon, einfach so um die 4:06 herum (auf einmal war 4:06 meine Referenzzeit, die sich im Kopf festgesetzt hatte – keine Ahnung, woher das kam, aber so falsch war es letztendlich gar nicht). Dann ein paar Marken übersehen, drei km in 12:17 – auch alles fein. Dann aber verlor ich ein bisschen (oder ein bisschen sehr) die Kontrolle über das, was sich abspielte. Es ging in 4:04 – 4:03 – 4:00 – 4:06 – 4:08 – 4:02 – 3:55 – 4:02 – 4:01 – 3:58 – 4:05 – 3:59 weiter. Ob alle Tafeln ganz exakt gestanden sind, kann ich nicht sagen, und auch in Berlin gibt es leichte Steigungen und Bergabstücke. Halbmarathon in 1:25:41 absolviert und als langsamster Kilometer im 2. Viertel eine 4:08. Das kann nicht gut gehen, denn dass ich keine 2:50~51 drauf hätte, war mir klar. Aber Bremsen war so schwer! Dabei war es schon zu diesem Zeitpunkt nicht komplett mühelos. Die Beine waren in Ordnung, aber ich war ständig extrem durstig, die Labestationen waren nicht ideal organisiert (Helfer*innen, die im letzten Moment ihre Becher wegzogen und ich ins Leere griff), so dass ich nie genug zu trinken bekam und heiß war mir außerdem. Bei einer Temperatur von (angeblich) 14°C zwar merkwürdig, aber so war es eben. Ich steuerte jeden Wassersprüher an, aber bei Optimaltemperaturen gab es davon klarerweise nicht viele.

Jetzt geht es nur noch bergab

Die folgenden Kilometer immer noch zu schnell, vor allem, da es jetzt bis zum Wilden Eber bei ca. km 28 leicht anstieg: 4:01 – 4:04 – 4:01 – 4:04 – 4:01 – 4:01 – 4:10.

Wilder Eber geschafft! Die Stimmung dort, wie immer, großartig! Es war echt motivierend und mitreißend. Mein Name stand gut lesbar auf meiner Startnummer – namentlich angesprochen und angefeuert zu werden ist einfach viel intensiver als einfach nur „Schreierei“.

Mein Mantra vom letzten Berlin Marathon (2009, lang lang ist’s her, aber an Vieles erinnere ich mich noch gut): Du musst nur 28 km laufen, ab dem Wilden Eber geht es bergab! Das Gefälle ist immer noch das gleiche, aber so ganz ohne war das letzte Drittel dann doch nicht. ;–) Ab dem kleinen „Gipfel“ wurde ich tatsächlich wieder schneller: 4:01 – 3:56 – 4:05 – 3:57 – 4:01. Die Splits waren noch gut, aber ich spürte schon, dass ich jetzt langsam (oder schnell) an meine Grenzen kommen würde. In der Hoffnung, mich noch ein kleines Stück „drüberretten“ zu können, nahm ich schon bei km 34 und nicht erst bei 35 mein 3. Gel. Es half, aber Wunder bewirken konnte es halt doch keine. ;–) Ich war schon ziemlich am Ende. Km 34 in 4:10 (oder schneller, ab da waren dann einige Schilder recht seltsam platziert, km 35 in 4:04 (es ging ja doch noch!) aber dann: 4:08 (oder schneller, GPS meint 4:03) – 4:09 (eher langsamer, GPS meint 4:13, was auch eher meinem Gefühl entsprach) – zwei Kilometer in 7:59 (nie!!im!!Leben!!! Laut GPS 4:06) – 4:34 (so falsch stehende Tafeln bei km 40 sind eine Gemeinheit!! GPS meint 4:15). Aber was die hier teilweise falsch stehenden Tafeln anbelangte: Irgendwie war mir zu dem Zeitpunkt schon alles ziemlich wurscht. OK, nicht alles – das Gesamtergebnis nicht. Ich wusste, dass, sofern ich ins Ziel komme, die Zeit jedenfalls unter drei Sunden sein würde, und das war mir auch mal am wichtigsten. Sollte ich auf den letzten 6,2 km einen Fünferschnitt (diese Rechnung geht immer! 😉 – außer es sind Meilen im Spiel …) laufen, sogar eine 2:57er-Zeit. Es würde also bestimmt ein gutes Ergebnis werden. Ob da jetzt die eine oder andere Tafel falsch stand, täte nichts zu Sache. Einfach laufen, so gut es ging. Wobei das nicht mehr sehr gut war … Die Oberschenkel waren schon Blei, es fiel mir schwer, sie zu heben. Und bei ca. km 40 begann auch so eine Art Seitenstechen. Rechts vorne, direkt unter dem Rippenbogen. Ich versuchte, es mit Gegendruck ruhig zu halten – naja, so einigermaßen gelang es, aber richtig tief durchatmen, wie es normaleweise auf den letzten zwei Kilometern nötig ist, war nicht ganz möglich. Aber was geht, das geht, bloß nicht nachlassen.

Grande finale

Die letzten paar Kurven von der Leipziger Straße – Jerusalemer Straße – Mohrenstraße – Markgrafenstraße – Franzstraße – Glinkastraße bis ich endlich Unter den Linden war, waren mühsam. Geradeaus ging ja noch irgendwie, aber zum Kurvenlaufen fehlte mir echt die Kraft! Immerhin hörte ich ziemlich genau beim 40er eine Berliner Stimme mich deutlich anfeuern. Das gab Auftrieb! Eine Kollegin aus meiner Asics-Zeit, die mich in der Menge identifiziert hatte. Zu diesem Zeitpunkt war mein Sehsinn nur mehr auf die Strecke, genau gesagt, die paar Meter vor mir, fokussiert, aber immerhin gehört hatte ich sie. Km 41 war in 4:16 (GPS meint eher 4:20, aber egal – es war nicht!mehr!weit!) absolviert.

Passion im Gesicht und den Turbo in den Schuhen

41,xx und endlich Unter den Linden!! Ab da ist es zwar immer noch ein schönes Stück, aber trotzdem ist das Ziel langsam greifbar. Und hörbar! 🙂 Pariser Platz, Brandenburger Tor – welchen Durchgang nehme ich? Bloß keine Umwege, jeder Zentimeter kann kritisch werden. Brandenburger Tor, ab dort nach meiner Erinnerung (die stimmen dürfte) noch ca. 400 Meter. Jetzt ist es Zeit, alles zu geben. Ich war mir in diesem Moment nicht mehr sicher, ob ich es tatsächlich ins Ziel schaffen würde oder nicht vielleicht vorher zu Boden gehen. Aber die Entscheidung, was mir lieber wäre, war in dem Moment klar. 😮 Dann die 42er-Marke und der Versuch, etwas auf meiner Uhr abzulesen und daraus Schlüsse zu ziehen: Wie durch einen Schleier verschwommen (ganz bei mir war ich wirklich nicht mehr 😮 ) las ich dort 2:51:17 Ich wusste: Für die letzten 195 Meter brauche ich +/– je nach meiner Verfassung ca. 45 Sekunden. Wenn ich jetzt allesallesalles rausquetsche, das ich habe, könnte ich es vielleicht noch unter 2:52 schaffen!! Also drückte ich an und versuchte allesallesalles rauszuquetschen, was ich hatte. Die Fotos von meinem Zieleinlauf unterstreichen das. 😉

Geschafft!

Ziellinie! Uhr stoppen! Jubelpose schaffte ich nicht, obwohl mir durchaus zu jubeln war. Das innerliche Jubeln musste reichen, schließlich ging es mir um Zehntelsekunden. Was sagt die Uhr? 2:51:59 (offiziell dann 2:51:58). Jaaaa! Ich habe es geschafft! Sogar unter 2:52!

Ich hielt mich am Zaun an und lehnte mich dagegen. Die Helferin verstand mich, ganz kurz stehenbleiben war auch kein Problem. Ich war überwältigt und wusste nicht, was ich jetzt sagen oder tun (oder auch nicht sagen oder tun) sollte. Ich war gleichzeitig voller Emotionen und auch völlig leer. Was ich dann sagte war „So ein Sch…jahr bisher und dann so ein Marathon!“ Etwas merkwürdig, aber etwas Besseres fiel mir einfach nicht ein.

Ich dachte, es müssten Freudentränen kommen, aber sie kamen nicht wirklich. Der Ausgang aus dem Zielgelände war, wie meistens, recht prosaisch. Wie so oft übersah ich die ersten dünnen Wärmefolien (aber die Ponchos, die es später gab, entdeckte ich, da war ich allerdings schon ganz eingefroren). Ich holte mir also Bananen, später ein alkoholfreies Bier und noch eines. Ich fror zwar noch weiter ein, aber irgendetwas essen und trinken wollte ich und der Weg ins Hotel war doch noch weit. Während der ganzen Zeit hatte ich nichts zu sagen, aber die anderen, die auch halb frierend an ihren Bieren nuckelten, grinsten genauso wie ich und irgendwie verstanden wir uns ja doch. 🙂

Die Zahlen:
2:51:58 netto
2:52:16 brutto – das ist nach wie vor österreichische Jahresbestleistung
Rang 82
Altersklasse W-45 Rang 3
1. HM 1:25:41
2. HM 1:26:18 – dann war das ja eh gar nicht sooo schlimm.

Und es war mein zweitschnellster Marathon. Mit 46. Das ist nicht selbstverständlich und dafür bin ich sehr dankbar.

Wäre es besser gegangen? Vielleicht. Den Mittelteil etwas vorsichtiger wäre nicht schlecht gewesen, aber der Unterschied im Gesamtergebnis wäre vermutlich nicht so extrem gewesen. Eine 2:50er-Zeit hätte es vermutlich auch nicht gebracht.

New York Marathon 2022

Die Vorgeschichte

Auch dazu gibt es eine Vorgeschichte – die weit zurückgeht, aber dann doch gar nicht so lang ist.

Seit meiner Teilnahme beim New York City Marathon 2006 wollte ich irgendwann wieder dort laufen. Die Atmosphäre war einfach großartig, das wollte ich wieder erleben! Außerdem war ich damals richtig schlecht gelaufen und hatte so ziemlich alles falsch gemacht, was man falsch machen kann, daher wollte ich das besser schaffen.

2021 sollte es sein, die Planung begann 2020. Was dann kam, wissen wir wohl alle … 2020 wurde der Marathon abgesagt. Qualifikationszeitraum war damals und ist aktuell immer das Kalenderjahr vor dem Lauf. 2021 waren Anmeldungen zwar möglich, aber angesichts der Unsicherheiten von Absagen etc. wollte ich mich für dieses Jahr gar nicht anmelden. Außerdem ist New York Marathon mit massiven Sicherheitseinschränkungen auch kein besonderes Vergnügen. Am Ende kam es dann ohnehin so, dass Einreisen in die USA für (die meisten) Ausländer gar nicht möglich waren.

Dann also 2022! Der Qualifikationszeitraum wurde aus naheliegenden Gründen (wenig Rennen in 2021) auf 2020 plus 2021 verlängert – ich hatte mit dem Linz Marathon 2021 eine gute Zeit, die bei weitem reichen sollte – in meiner Altersklasse 3:38:00 vs. 2:56:15, die ich stehen hatte.

Im März 2022 kam also der große Tag: Die Anmeldung öffnete! Nun ist aber der Anmeldemodus so, dass für alle, die das Limit bei einem NYRR-Lauf erbracht haben (im Wesentlichen New York City Marathon oder New York Half sowie einige weniger bekannte Rennen) die Anmeldung über den ganzen Anmeldezeitraum möglich ist. Für alle anderen, mit Zeiten von „fremden“ Läufen gilt aber „first come, first served“, so lange es Plätze aus dem Kontingent für Qualifiers gibt. Wie groß das Kontingent ist, ist nicht bekannt.

Was dann kam, war klar: In dem Moment, als die Anmeldung öffnete, laaange Wartezeit, um überhaupt ins System zu kommen. Zuerst befindet man sich in einer „virtuellen Schlange“, wenn diese absolviert ist, beginnt die eigentliche Anmeldung. Ich war nach einer Stunde in der Anmeldung drin. Alle meine Daten bekanntzugeben dauerte dann auch noch vielleicht eine halbe Stunde, aber dann war es geschafft! Die Bestätigung, dass meine Anmeldung eingegangen sei, war da! Sechs Tage stand in meinem Account weiterhin „Pending“. Was war da los? Es war zwar noch nicht Ende der Anmeldefrist, aber ein gutes Gefühl hatte ich dabei nicht. Dann änderte sich der Status in meinem Account von „Pending“ auf „Pending Drawing“. Warum auf einmal drawing? Ich hatte mich doch gar nicht für die Lotterie …, ich hatte doch einen garantierten Startplatz … Ich schrieb dann mal an die NYRR, mit wenig Optimismus, aber zumindest wollte ich sie zu einer Antwort bringen. Die „Erklärung“ war, dass die Plätze für die Qualifier extrem schnell vergeben waren und ich mich „nicht rechtzeitig“ angemeldet hätte. Dass das unlogisch wäre, interessierte sie nicht. Ja, mit den Typen diskutieren bringt eben leider nichts. Bei der Lotterie wurde ich auch nicht gezogen, es wäre ja zu schön gewesen.

Das 16 Jahre alte Ziel bestand aber weiterhin: So tat ich, was ich nie tun wollte und fragte bei Runners Unlimited an. Der Preis für die Reise war naja – schon teurer, als selbst individuell gebucht, aber noch im erträglichen Bereich. Lästig halt, dass es genau nur zwei Hotels zu Wahl gab. Der Preis für den Startplatz war auch mehr als doppelt so viel wie sich direkt anzumelden, aber was soll’s, ich wollte das eben machen. Also buchte ich dort.

Es hat auch letztendlich alles gut mit ihnen geklappt aber diese „Betreuung“ durch ein Reisebüro gestaltete sich viel mühsamer als alles selbst zu machen. Im Frühsommer konnte man mir noch nicht sagen, von welchem Flughafen wir denn nach Wien zurückfliegen würden. Immerhin gab es eine Vermutung „Ja, es sieht so aus, als würde der Flug eher von JFK gehen – aber genau erfahren wir das erst einen Monat bis zwei Wochen vor der Abreise …“ OIDA! Ich bin wohl nicht der Typ für solche Gruppentrips.

Dann kam die Ankündigung, dass es für die Reisegruppe eine WhatsApp Gruppe geben würde. Mir schwante Übles … Zum Glück war es eine Gruppe, in der nur Admins posten durften, also gab es maximal fünf Infonachrichten am Tag. 😀 Zwei Wochen vor der Abreise wurden dann wirklich die Tickets ausgestellt und ja, wir flogen tatsächlich von JFK.

Weil ich ja schon älter bin, wollte ich auch ein bisschen mehr Komfort und so war der Plan, dass ich meinen Rückflug auf Premium Economy upgrade. Also in die Buchung eingeloggt und: Überraschung!! 😀 Ja, ich konnte ein Upgrade machen. Für die ganze Gruppe. Sie hätten mich sicher hochleben lassen. 😀 Also erstmal, da es schon spät abends und im Reisebüro niemand mehr erreichbar wäre Anruf beim Austrian-Servicecenter, aber nein, ein individuelles Upgrade war leider nicht möglich, weil Gruppenbuchung. Also wieder mal eine E-Mail an das Reisebüro, ob es denn irgendwie möglich wäre, dass ich nur meinen Flug upgrade. Ja, es war möglich, mein Flug wurde aus der Gruppenbuchung rausgelöst und ich bekam einen neuen, eigenen Buchungscode gaaaanz für mich allein. 🙂 Mit einem Wort: Alle meine Wünsche, Anliegen und Probleme wurden gelöst – Probleme, die ich ohne das Reisebüro gar nicht gehabt hätte. 😉

Dass ich beim Check-in mir einen Wunschplatz aussuchte, am Flughafen aber entdecken musste, dass ich ganz woanders hin platziert wurde (Erklärung am Gate „Gruppenreise!!!“) passte zu meinem Erlebnis. Mit etwas diskutieren bekam ich immerhin einen „Kompromissplatz“, nicht ganz nach Wunsch aber nicht ganz so schlecht wie der eigentlich zugeteilte, ärgerlich war es trotzdem. Alles keine Dramen aber eben: Ich hätte mir das gerne gespart.

Nach diesem Suder-Exkurs aber zurück zum Sportlichen:

Nach Berlin ist vor New York ähm Linz

Nach dem Berlin Marathon war ich erstmal eine Woche nur müde. Der erste Lauf nach einer Woche war dann aber schon ganz in Ordnung und bald kam ich wieder gut in Schwung und zehn Tage nach dem Marathon war ich gefühlsmäßig schon wieder „voll im Saft“. Die schnellen Sachen gingen gut und auf U4U4 lief ich neue Rekorde. Allerdings war es arbeitsmäßig gerade äußerst stressig. Vier Wochen nach dem Berlin Marathon war in Linz die Halbmarathon Staatsmeisterschaft dran. Die Tage davor war ich richtig geschlaucht, bis zu Start besserte es sich einigermaßen, aber ich war dennoch nicht gut drauf. Nach der Hälfte des Halbmarathons ging mir völlig die Kraft aus. Ich war eben auch so angelaufen, wie ich mich noch eine Woche davor gefühlt hatte, was aber leider nicht mehr zu meiner aktuellen Verfassung passte. Die zweite Hälfte war SEHR beschwerlich, aber einen halben Halbmarathon kann frau ja immer noch durchbeißen.

Nach Linz war ich dann mal so richtig erschöpft. Arbeit und der Halbmarathon zusammen waren zu diesem Zeitpunkt leider eine echt ungünstige Mischung. Am Dienstag nach dem Halbmarathon ging ich eine Stunde ganz bewusst langsam laufen – so langsam war ich schon ewig nicht unterwegs gewesen! Das tat gut, vor allem auch dem Kopf.

Dann kam aber doch wieder ein bisschen Drama ins Spiel, ganz ohne geht es ja nicht. 😉

Should i stay or should i go

Am Donnerstag Abend war Krafttraining dran. Ich fühlte mich schon wieder fit und gab ein bisschen mehr Gas als üblich, aber ohne zu übertreiben. Freitag Vormittag kamen auf einmal Rückenschmerzen. Richtig seltsame Rückenschmerzen, die ich nicht zuordnen konnte. Rechts der Wirbelsäule auf Höhe obere Lendenwirbelsäule / untere Brustwirbelsäule und dann weiter seitlich. Also definitiv nicht an der Wirbelsäule selbst. Und so stark, dass tief Luft holen eine Qual war. Ich konnte keine Ursache finden. Ich hatte nichts Schweres gehoben, hatte nicht verdreht geschlafen (weil nach dem Aufwachen war es noch nicht da), auch das Krafttraining passte nicht als Auslöser. Warum das Ganze nur einseitig? Und warum so heftig? An diversen Salben herrschte zu Hause kein Mangel, so probierte ich es mit wärmender Traumasalbe und auch mit Ausrollen. Das half ein wenig, aber am Abend wurde es wieder stärker. Ich fühlte mich auch schwach und kränklich, hatte etwas höhere Temperatur als normal, also wollte ich früh schlafen gehen. Mir kam auch der Gedanke, dass es ein Problem mit Nieren, Harnleitern oder anderen Organen in der Gegend sein könnte, ein Harntest blieb aber negativ. Nur war ich nicht sicher, ob diese Teststreifen überhaupt noch funktionsfähig wären. Duschen und Umziehen waren eine Qual, aber ich schaffte es ins Bett. Zwei Stunden später wachte ich aber durch starke Schmerzen wieder auf und dann machte sich Verzweiflung breit. Was ist das? Warum bekomme ich es nicht weg? Ist es womöglich etwas Gefährliches? Als der Versuch wieder einzuschlafen scheiterte, entschloss ich mich um 23:45 zum Anruf beim Notarzt. Das Handy hatte ich beim Schlafengehen vorsorglich voll geladen neben das Bett platziert. Beim ersten Anrufversuch landete ich trotz richtiger Nummer bei der Polizei. Jetzt kamen mir schon vor Schmerzen Tränen. Nochmal die Telefonnummer überprüfen und einen zweiten Anrufversuch zu starten war mir im Moment zu anstrengend. Beim zweiten Versuch klappte es aber. Ich schilderte meine Symptome. Es kam der Verdacht auf Nierenkolik, der dann aber auch eher wieder verworfen wurde. Ein Notarzt-Team würde zu mir kommen (das würde aber dauern), ich solle in der Zwischenzeit Voltaren nehmen und ein warmes Kirschkernkissen auf die schmerzende Stelle legen. Sollte es besser werden, kann ich nochmal anrufen und das Notarzt-Team abbestellen. In der Zwischenzeit sah ich mir im Bett in der TVthek die Übertragung des Linz Marathon an und wartete Besserung ab. Es wurde ein wenig besser aber noch nicht deutlich. Als ich zwar immer noch Schmerzen aber zumindest das Gefühl hatte, wieder schlafen zu können, rief ich nochmal die Notrufnummer an um abzuschätzen, wie lange es denn noch dauern könnte. Als es um 01:45 immer noch hieß, dass es noch dauern würde, versuchte ich es wieder mit Schlafen. Eine dreiviertel Stunde später wurde ich durch den Anruf vom Notarzt-Team geweckt. Fieber hatte ich nicht, Sauerstoffsättigung war bestens, auf meine Fragen nach der Art der Schmerzen wurde ein Nierenproblem eher ausgeschlossen und doch eine muskuläre Ursache vermutet. Ich bekam Schmerzmittel und für den nächsten Tag noch weitere und ein Rezept für Muskelrelaxans. Zumindest die ärgsten Schmerzen waren fort und ich konnte schlafen, das war mir kurz vor 03:00 auch am wichtigsten. Am nächsten Morgen ging es mir gut, ich hatte nur mehr leichte Schmerzen und mein Abenteuer von der Nacht konnte ich mir gar nicht mehr vorstellen. Am Abend dachte ich auch, ich könnte es wieder mit einem kurzen Lauf probieren, aber da war schon nach 100 Metern Schluss. Wieder starke, stechende Rückenschmerzen und ein massives Schwächegefühl. So kann das nicht weitergehen, dachte ich, am Sonntag in der Früh gehe ich zur Ärztefunkdienst-Ordination. Spital wäre vermutlich auch nicht falsch gewesen, ich schätzte meinen Situation aber nicht ganz so wild ein und hatte Scheu davor, vermutlich die halbe Nacht wartend in eine Spital zu verbringen, ein offensichtlicher Notfall war ich ja nicht.

Sonntag früh machte ich mich also auf den Weg, die nächste Untersuchung. Kein Fieber, Lunge abhören in Ordnung, Sauerstoffsättigung bestens, Harn alles gut. Ich wollte sichergehen, nichts zu riskieren und sagte dem Arzt, dass ich in einer Woche einen Marathon geplant hätte, ob etwas dagegen sprechen würde. Er dachte nach und meinte, er würde nichts entdecken, was dagegen spricht, ich müsste eben schmerzfrei sein. Mit Schmerzen soll ich nicht laufen. Das war klar, und mit den Schmerzen, die ich hatte, wäre ein Marathon nicht vorstellbar gewesen. Dann überlegte er nochmal und meinte, er könne mir auch Blut abnehmen, um hier auch Gewissheit zu bekommen. Ja, klar, sicher ist sicher. Während ich auf die Ergebnisse wartete, war ich mir schon ziemlich sicher, dass da eigentlich „nichts“ wäre, nur irgendeine Kleinigkeit, die irgendwoher gekommen war und genauso schnell wieder verschwinden würde. Als der Arzt aber mich holen kam, machte er ein ziemlich ernstes Gesicht. „Also Ihr Blutbefund ist nicht ohne …“ Deutliche Entzündungswerte. Irgendeine bakterielle Infektion offenbar an der Lunge. Ich bekam ein Breitbandantibiotikum (und auch Probiotika, um die unangenehmen Nebenwirkungen des Antibiotikums abzumildern) und den Hinweis, sollte es nach einem Tag nicht besser werden, bräuchte ich ein Herz-Lungen-Röntgen und solle ins Spital. Uff. Und Marathon – es könnte klappen, aber es wird knapp.

Erstmal war ich froh, dass ich mich ordentlich hatte durchchecken lassen! Die Sache verschleppen und eine Lungenentzündung zu bekommen wäre womöglich böse gewesen. Alles weitere würde sich noch entwickeln. Nach der Einnahme der ersten Tablette kam schon richtig große Freude auf: Es schien zu wirken, die Schmerzen begannen jetzt endlich WIRKLICH nachzulassen. Am Montag waren sie zwar noch nicht ganz vorbei, aber die Besserung war deutlich, das Mittel war das richtige und wirkte.

Am Mittwoch hatte ich einen ohnehin geplanten Termin bei meiner Ärztin. Ihr war die Kombination meiner Symptome und die Behandlung mit Antibiotika etwas suspekt, da meine Symptome tatsächlich eher auf Nierensand als auf eine bakterielle Infektion hingewiesen hatten. Am ehesten hatte ich zugleich beides. Der Nierensand war abgegangen und die Bakterien wurden eliminiert, bevor eine Lungenentzündung ausbrechen konnte. Sicherheitshalber schickte sie mich noch zum Unterbauchultraschall, das ich aber mit Bravour absolvierte. Der Arzt war von der Schönheit meiner Nieren, Harnblase, etc. geradezu begeistert. 😀

Ab nach New York

Somit hatte ich also zumindest grünes Licht für die Reise zum New York Marathon, die am folgenden Tag, Donnerstag (mit einer dick gefüllten Medikamententasche) losgehen würde.

Nach dem schon beschriebenen, etwas ärgerlichen, Flug kam ich also in New York an. Ab jetzt lief der Countdown. Die ganze Woche hatte ich keinen Sport gemacht, ich nahm ja noch Antibiotika ein. Leider hatten diese auch trotz Probiotikum die üblichen Nebenwirkungen, nämlich Durchfall, der mich einiges an Kraft kostete. Leider war das alternativlos, Antibiotika absetzen war keine Option. Am Freitag wollte ich den ersten kurzen Lauf seit einer Woche machen, gemütlich durch den Central Park. Die Beine fühlten sich sehr locker an, der Puls war niedrig, in dem für das gemütliche Tempo ganz normalen Bereich. Aber plötzlich wurde mir extrem heiß und ich fühlte mich angestrengt und unwohl. Ich wurde nervös, stoppte und wollte zurück zum Hotel gehen. Beim Gehen wurde es aber sehr schnell besser und so versuchte ich es doch, jetzt mit sehr sehr langsamem Tempo. Das war dann kein Problem und ich dehnte die Runde ein wenig aus, weiterhin langsam. Zurück im Hotel spürte ich keine Probleme mehr und der restliche Tag verlief auch in Ordnung. Zu Mittag ging ich die Startnummern abholen. Die Messe war sehr gut organisiert. Der riesige Stand von New Balance, offiziellem Partner des New York Marathon, war mit Kaufwütigen übervoll, aber die Wartezeit an Umkleide und Kassa nahm ich in Kauf, das Angebot war wirklich toll, die Sachen waren ausgesprochen attraktiv. Zusätzlich zum hellblauen Langarmshirt für alle Teilnehmer*innen kaufte ich mir eine lange Hose und Handschuhe im Design New Yorker Bauwerke und ein weiteres Langarmhirt. Auch die anderen Anbieter hatten interessantes Angebot. Schnäppchen waren kaum bis keine dabei, dafür high end sportswear in stylishem New York Design, also Souvenir und Laufausrüstung in einem. Außerdem stieß auf einen Stand von „Team Milk“, der mich neugierig machte. Ich musste dort nur meine Seele verkaufen, dann würden sie für irgendwelche wohltätigen Projekte spenden. Nein, ganz so schlimm war es nicht. 😀 Für jede Unterschrift wurde der Gegenwert der Startgebühr gespendet, außerdem gab es dafür ein Langarmshirt (super! kam gleich in den Finisherbag!) und eine Einladung zu einer Recovery Lounge in der nähe des Ziels. Ein Angebot, das ich nicht ablehnen konnte. 😉

Da ich mich den ganzen Freitag, bis auf den Morgenlauf gut gefühlt hatte, wollte ich es am Samstag noch einmal versuchen. Inzwischen war mir ein Verdacht gekommen, was am Freitag das Problem gewesen sein könnte: Die Temperatur! Ich war mit kurzer Hose und Langarmshirt unterwegs gewesen. Dünn, aber eben doch Langarm. Das wollte ich am Samstag wieder nehmen, doch ich die Temperatur mitbekam, wechselte ich schnell auf Kurzarm. Das war die Lösung! Mir war am Freitag einfach zu heiß gewesen. Am Samstag ging es dann ausgesprochen gut dahin und ich fühlte mich fit für den Marathon. Juhu! Die Zweifel waren dahin, alles lief nach Plan, endlich!

Am Samstag ging es nochmal in den Central Park um den Sack mit Kleidung für den Zielbereich abzugehen. Vom Start gab es keinen Kleidertransport mehr ins Ziel.

Race Day New York

Am Sonntag hieß es früh aufstehen, mein (vom Reiseveranstalter organisierter) Bus sollte um 06:00 direkt vom Hotel abfahren.

Pünktlich (!) um 06:00 Abfahrt, hatte es geheißen. Ich war schon früher fertig, also ging ich schon vor der Zeit hinunter auf die Straße und hatte vor, mich gleich in den Bus zu setzen und noch ein bisschen zu dösen Tja. Die Gruppe schien vollzählig pünktlich da zu sein, nur Bus war keiner da. Um 06:10 war ich schon sehr unentspannt. Mein Plan war gewesen, erst im Startbereich auf Staten Island zu frühstücken, vor 06:00 war es mir für Start um 09:10 einfach zu früh. Genauso hatte ich es auch schon beim Boston Marathon 2019 gemacht und das hatte bestens funktioniert. Nur leider: kein Bus. Unsere Begleiterinnen vom Reisebüro schauten zwar herum, aber wirklich viel Aktion konnte ich nicht erkennen, was mich nochmal grantiger machte. Dazu ein weiterer Faktor, der die Sache ungemütlich machte: Alle Straßenfahrzeuge mussten über die Verrazano-Narrows-Bridge zum Start auf Staten Island. Dieselbe Brücke, über die wir dann wieder laufend auf dem Weg zurück Richtung Brooklyn nehmen würden, weshalb die Brücke auch um 07:00 schließen würde. Also sollten wir es nach Möglichkeit rechtzeitig bis 07:00 oder zumindest bis kurz nach 07:00, ein bisschen Toleranzzeit würde hoffentlich drin sein, schaffen. Was, wenn der Bus gar nicht käme Eingegangen und kein Ersatz rechtzeitig aufzutreiben? Ich war schon wirklich sehr sauer. Auf einmal am eine unserer Begleiterinnen dahergelaufen: Der Bus war da. Also nicht da, aber zumindest irgendwo in der Nähe. Ob er zu spät gekommen war oder die ganze Zeit da stand, nur eben vor dem falschen, dem „anderen“, Hotel weiß ich nicht. Jedenfalls waren wir endlich um 06:35 im Bus, es ging Vollgas los, soweit das ein Reisebus eben schafft und kurz nach 07:00 waren wir auf der Verrazano-Narrows-Bridge. Die Brücke war noch nicht geschlossen, das hatten wir also zumindest geschafft. Mehr als einen halben Keks hatte ich aber immer noch nicht gefrühstückt und jetzt standen wir im Stau. Bis wir endlich am Parkplatz bei Fort Wadsworth standen, war es kurz vor 08:00. Schnell raus aus dem Bus, „Ciao, alles Gute!“ zur Gruppe und los Richtung Startgelände. Die Schlange vor der Sicherheitskontrolle war zum Glück kurz und dann konnte ich endlich los ein WC (das war nach der langen Warterei auch schon dringend) und etwas zu essen suchen. Ca. eine Stunde bis zum Start.

Das Startgelände war riesig und es gab alles. Tee, Kaffee, Isogetränke, Bagels … Mützen, Therapiehunde, … und was weiß ich was. Für die Teilnehmer*innen in der letzten Welle war Start auch erst um 11:30 – die Zeit muss man erstmal rumbringen. Bei Kälte bestimmt ziemlich unangenehm, da wäre es überlegenswert, ob man nicht mit einer Fähre erst später anreist. Ich hatte dieses Problem nicht, im Gegenteil. Aber jetzt mal mit der Ruhe und den Bagel guuuut kauen weil sonst wird der Bagel im Bauch zum Pflasterstein.

Um während der Wartezeit im Warmen und Trockenen zu sitzen, hatte ich auch einige Zeitungen mitgenommen. Aber nicht nur, dass ich kaum zum Sitzen kam, war es auch als andere als kalt. Tiefsttemperaturen in der Nacht 19°C – das versprach ein „heißer“ Marathon zu werden, im wahrsten Sinne des Wortes. Aus diesem Grund wurde auch ein Warnsystem eingerichtet: Grüne Flagge: Alles in Ordnung; Gelbe Flagge: Es ist heiß, Vorsicht, kühlen, langsamer laufen, …; bis Schwarze Flagge: Rennabbruch. Warme Kleidung war also auch schon in der Früh kaum nötig. Ich hatte nur ein Kurzarmshirt und eine alte Pyjamahose an. Und einen Plastikponcho, über den ich vor allem im amerikanisch klimatisierten Bus sehr froh war. Nach meinen zwei Bagels und Orientierung, wohin ich denn eigentlich musste, war es schon Zeit zum Aufwärmen. Viel Platz war dazu nicht, aber es war ausreichend. Um 08:45 mussten wir schon in die Corrals, von denen es dann gemeinsam in Formation zum Start ging. Der Start verläuft auf der zweigeschoßigen Brücke in drei Spuren: Oben links orange, oben rechts (hier war ich) blau und unten links grün. Mein Startblock war Blau 1 B, also blaue Strecke, Welle 1, Block B. Vor uns Sub-Elite und Block A. Ich wusste von langsameren, die in Block A waren, was aber kein Problem war, da A und B sich ohnehin schon auf dem Weg zum Start vermischten. Was die Temperatur anbelangte, so hatte ich mich mit dem Gedanken beruhigt, dass ich bisher Hitze immer gut vertragen hatte. Die Erkenntnis ja, aber bisher bin ich noch keinen Marathon bei Hitze gelaufen! kam reichlich spät, nämlich gerade auf dem Weg zum Start. Ändern ließ sich natürlich nichts mehr. Vor dem Start gab es die Hymne, wieder mal etwas eigenwillig interpretiert, ich würde es Katzenmusik nennen, und bald ging es los – wie könnte es anders sein – zu Frank Sinatras „New York, New York“. Komisch, dachte ich mir. Das passt überhaupt nicht zu einem Tag wie heute. Das ist Herbst, Nebel, kalt, oder überhaupt Winter – aber nicht 20°C und Sonnenschein. Bald war ich aber ohnehin außer Hörweite und hatte andere Gedanken.

Und los…

Die Verrazano-Narrows-Bridge ist zwei Meilen lang und stellt sich ordentlich steil auf. Nicht zu schnell anlaufen, lautete das Motto, Konzentration auf eine vernünftige Pace. Diese Frage stellte sicher aber gar nicht. Als ich mich dem Startbogen näherte hatte ich nämlich einen Schreckmoment: Da ist der Startbogen, ich sehe auch die Matte – aber das Feld vor mir bewegt sich einfach immer noch so gut wie nicht?!? Was soll das? Tatsächlich, es ging wirklich SEHR langsam los. Ich wollte ja gemäßigt anlaufen, klar, aber so hatte ich mir das auch nicht vorgestellt. Da waren wirklich SEHR langsame Leute vor mir. Als ich nach ein paar hundert Metern auf die Uhr schaute um diese mir Pace 5:55 min/km anzeigte merkte ich, dass ich da jetzt schleunigst etwas ändern müsste und versuchte, Gas zu geben. Irgendwie zwischen den Leuten durch, ohne zu viel Zick-Zack zu laufen und ohne allzu arg zu rempeln. Nicht ganz einfach, denn es waren nicht einzelne, die da in ca. 7 min/km liefen, sondern sie waren in Gruppen und Ketten unterwegs. Nach einer Meile, auf dem Scheitel der Brücke, hatte ich es geschafft, mich freizulaufen, ab da ging das „normale“ Laufen an. Korrekte Startblockenteilung oder -überwachung gehörten nicht zu dem Stärken des New York Marathon, zumindest nicht 2022.

Auf der welligen Strecke hatte ich auch immer wieder ein Auge auf die Power um bergauf nicht zu intensiv anzudrücken, was bestimmt geholfen hat. Trotzdem wurde es ein Lauf, der bei weitem nicht perfekt war.

Nach dem 2:51:58 von Berlin und dem Gefühl, danach noch stärker zu werden, war meine Schätzung eine 2:55er-Zeit in New York. Bei guter Tagesverfassung und guten Bedingungen wäre es wahrscheinlich möglich gewesen. Dass ich die Woche davor krank gewesen war und dadurch etwas Substanz verloren hatte bedeutete aber leider, dass die Tagesverfassung nicht perfekt war und verschärfend lief ich noch dazu auf unter 2:55 an, unter 6:40 pro Meile.

Es war auch tatsächlich sehr warm. Zum Glück gab es fast jede Meile, bis auf drei Meilen am Anfang, Getränke. Ich bekam auch immer genug ab, zumindest trinken und Kühlen war also kein Problem. Auch die Stimmung war gut. Besonders in Brooklyn waren mir die Fans am Streckenrand sympathisch. Originelle Schilder wie „You run better than the R train“ (und andere „Lieblings“-Pendlerzüge) oder „Run to the polls“ (am Dienstag waren die mid terms) fielen mir auf. In der Lafayette Avenue sollten meine Cousine mit ihrem Sohn stehen und anfeuern – dort war sooo viel los, auch eine Band hat gespielt, ich habe gar nichts mitbekommen! Sie haben mich aber entdeckt und gefilmt, sie waren also wirklich dort.

Blick nach vorne und weiter in Richtung Ziel

Halbzeit

Ruhig wurde es dann in Willamsburg, bei der jüdischen Gemeinde. Ich bemerkte das erst, als ich auf einmal das klapp-klapp-klapp der Carbonschuhe um mich herum hörte. Davor war das im Schreien, Tröten und Pfeifen untergegangen. Bis zur Hälfte, bzw. kurz davor ging es gut. Die Halbmarathonmarke war auf der Pulaski Bridge, der Übergang von Brooklyn nach Queens. Obwohl wesentlich kleiner als die Verrazano-Narrows-Bridge stellte sich auch diese Brück recht steil auf und der Anblick der Läufer*innen vor mir erinnere mich an eine Ameisenstraße, die sich den Anstieg hinaufmüht. Auch ich plagte mich hinauf und in 1:27:26 hatte ich die Hälfte erreicht. Zwar im Plan für eine 2:55er-zeit, sogar knapp darunter, aber das war ja eigentlich das Problem: Ich war zu schnell. Es wurde warm und mir wurde schwindlig. Kein Wunder, die Gelbe Flagge kam während es Rennens tatsächlich heraus. Beim Einbiegen auf den Vernon Blvd. bei ca. Meile 13,5 sah ich vor mir schon die Queensboro Bridge. Für die architektonische Schönheit hatte ich in diesem Moment kein Age sondern dachte mir nur: „Oh Sch… da muss ich rauf?!?“ Da mir immer wieder leicht schwummrig wurde, versuchte ich es mit einem zweiten Gel schon früher, vielleicht würde es helfen. Es ging irgendwie weiter und immerhin war ich ja auch schon bei Meile 13. Meile 14 in 6:51,1 war in Ordnung, das als Gesamtschnitt würde knapp unter 3 Stunden ergeben und das war auch mein Hauptziel. Mir war zwar klar, dass es hart werden würde, aber ich war zuversichtlich, dass ich eine gute Zeit ereichen würde. Zwar keine 2:55, aber trotzdem gut. Dann ging es auf die Queensboro Bridge. Meile 15 in 7:13,8, schon teilweise die Brücke hinauf, war zermürbend. Der Anstieg hinauf schien kein Ende zu nehmen und unter mir sah ich immer noch Land. War das immer noch erst der Brückenkopf? Hatte ich noch immer nicht einmal den East River erreicht? Ein Blick auf die Karte nach dem Lauf zeigte nein, das Land, das ich unter mir sah war nicht immer noch Queens sondern bereits Roosevelt Island. Aber egal, einen Schritt nach dem anderen, irgendwann würde ich schon oben sein. Und dann war auch tatsächlich bald der Scheitelpunkt der Brücke erreicht und ich kam in Schwung. Meile 16 war gerade beim Schnörkel von der Queensboro Bridge hinunter auf die 1st Avenue erreicht. 6:57 – ich war wieder unter 7 Minuten und die tobenden Massen von Manhattan nahmen mich in Empfang. Ab da kam Freude auf. Nur mehr 13,2 Meilen, drei Brücken bereits geschafft und jetzt wartete ein einfacheres Stück auf mich. Keine besonderen Steigungen, tendenziell leicht bergab und die Wetterprognose hatte auch Südwind, also auf diesem Stück Rückenwind, angesagt. So wurde die 1st Avenue zum Genuss. Kurz später sah ich auch den Fantreffpunkt unserer Gruppe, ich hätte nicht erwartet, sie zu entdecken. Es wurde lauter und lauter, sehr viele Menschen waren an der Strecke, aber zu diesem Zeitpunkt empfand ich das nicht mehr als angenehm sondern als Lärm. Die nette, geradezu familiäre Atmosphäre in Brooklyn war vorbei, hier war es mehr Geschrei. Außer ich konnte Blickkontakt mit einzelnen aufnahmen, dann feuerten mich diese wieder persönlich und direkt an. Mit dem Gedränge und selbst damit beschäftigt, Gels und viel Wasser zum Trinken und zum Kühlen zu bekommen, übersah ich Meile 18, 19 und 20 aber 6:49,7 für Meile 17 und im Schnitt 6:52,17 für die drei folgenden Meilen war in Ordnung, zumal hier schon wieder eine Brücke zu überqueren war. Nach fast vier Meilen die 1st Avenue geradeaus ging es über die Willis Avenue Bridge in die Bronx. „Nur mehr eine Brücke“ und „Jetzt ist’s nicht mehr weit!“ dachte ich mir. In der Bronx waren die Fan-Reihen wieder etwas dünner. Ich konnte wieder einzelne Menschen unterscheiden, es war nicht gar so gedrängt wie an der 1st Avenue, ich empfand es wieder angenehmer, weil ich das Anfeuern besser mitbekam. Nach einer Meile ging es aber schon wieder zurück nach Manhattan. Das Schild „Last damn bridge!“ einer Gruppe auf der Madison Ave Bridge war wirklich zutreffend. Einmal noch eine Brücke hinauf, Meile 21 brauchte 7:02,6. Aber wieder nahm ich es gelassen. Ich wusste, das Ergebnis wird gut. Wenn auch kein Traumergebnis, so aber doch gut und es war nicht mehr weit.

Brücken sind die Berge der Stadtmarathons

Dann ging der Spaß aber so richtig los. 5th Avenue, kurz um den Marcus Garvey Park herum und die 5th Avenue weiter. An zwei Dinge erinnerte ich mich: An den Bericht von Peter, der geschrieben hatte, dass die 5th ein langgezogener Anstieg wäre. Und an den Wetterbericht, der Südwind vorhergesagt hatte. Rückenwind auf der 1st Avenue bedeutet, eh klar, Gegenwind auf der 5th Avenue. Die drei Meilen die 5th Avenue entlang machten gar keinen Spaß. Meile 22 in 7:05, Meile 23 in 7:01,2 und Meile 24 (zum Schluss schon in den Central Park hinein, gleich mit einer ordentlichen Steigung) in 7:20,1. Ich wartete schon sehnlichst auf den Anblick, wo das Feld vor mir nach rechts in de Central Park hinein abbiegen würde. Von dort war es nicht mehr weit! Natürlich, meine Zeiten mit knapp über 7 Minuten pro Meile (= 4:21/km) waren zwar etwas zäh, aber auch kein Grund zur Beunruhigung. Die 2:55 waren natürlich schon klar außer Reichweite, aber die Sub-3 ziemlich ungefährdet. Bei jedem Split rechnete ich, wie langsam ich den Rest laufen könnte, um immer noch unter den 3 Stunden zu bleiben. Mit Meilen-Splits aber Kilometer-Denken war das Rechnen nicht ganz einfach, aber ab dem Moment, in den ich wusste, die Durchschnittspace für den Rest könnte auf 4:30 gehen, später dass auch 4:40, 4:50 … möglich wären, um immer noch unter 3 Stunden zu bleiben fühlte ich mich ganz gut.

Die Hügel im Central Park sind berüchtigt. Bestimmt zu recht, es geht wirklich ziemlich steil hinauf, aber subjektiv fand ich die kurzen Anstiege weniger unangenehm als die längeren Steigungen auf die großen Bücken. Ich ging es da schon eher wie einen Berglauf an: Kurze Schritte hinauf, nicht die Kraft (viel hatte ich ja nicht mehr) verpulvern und wenn ich oben war, wieder Gas geben. Dort sollten auch irgendwo Resi, Elisabeth, Kurt & Co stehen. Ich habe NIEMANDEN gesehen Aber sie mich und es gibt Bilddokumente, wie ich mich dort schon plage. Meile 25 war dann in 6:58,4 geschafft, jetzt fühlte ich mich schon recht sicher. Kurz raus aus dem Central Park auf W 59th Street, am Südosteck des Central Park, verlor ich kurz die Orientierung. War ich schon am Columbus Circle? Das ist ja gar nicht mehr weit! Nein, noch nicht. Erst noch W 59th Street am Central Park entlang, dann Columbus Circle und dann wieder in den Central Park hinein. Beim Schild „800 m to go“ versuchte ich wieder zu rechnen, ganz einfach war das aber nicht mehr. 2:59 müssen sich ausgehen, dachte ich, aber es wird knapp! Nochmal Gas geben, Columbus Circle war schon da, irgendwie ein Kraftpunkt für mich. Dann ging es in den Central Park hinein, die letzten 500 Meter hatte ich mir an den Vortagen gut angesehen und eingeprägt. Hier kannte ich alle Hügel und Wellen, denn auch dort ging es noch kupiert weiter. Einmal noch rauf, einmal runter, noch einmal rauf und die letzten 20 Meter vor dem Ziel leicht bergab. Meile 26 in 6:57,4, aber dann plötzlich der unangenehme Moment: Wie viel sind 0,2 Meilen in Meter? Oh Mist! Keine Ahnung! Das habe ich nicht bedacht!

Endspurt

Egal, das war der Moment für den Endspurt, jetzt wusste ich zumindest genau, was mich auf der Strecke erwartete. Dass meine Rechnung von vorhin falsch war, realisierte ich auch. Nicht 2:59 waren drin, sondern 2:58! Jetzt aber Zähne zusammenbeißen und kämpfen. Dass das geht, wusste ich von Berlin, so ähnlich wollte ich es wieder machen. Zwar war das Ziel nicht von weitem so gut sichtbar, es gab noch Kurven, bis ich es wirklich sah, aber es konnte nicht mehr weit sein, also alles geben! Ich stolperte über die Ziellinie. meine Uhr zeigte 2:58:56. Die 2:58er Zeit war sch noch ausgegangen! Ich habe den New York Marathon geschafft! Es stimmt ja irgendwie „If i can make it there, I’ll make it anywhere“ Aber es war wirklich anstrengend. Ich war zufrieden, aber erschöpft. Zufrieden, weil ich zwar nicht mein Idealziel von 2.55 erreicht hatte, aber mit Erkrankung eine Woche davor und Unsicherheit, überhaupt reisen zu können, war das trotzdem ein richtiges Happy End für mich.

Die offizielle Zeit war 2:58:52 – 6:50 pro Meile, also gerade im Bereich dessen, was ich geplant hatte (bzw. 4:14 / km). Für eine Strecke mit ca. 300 Höhenmetern und ein Hitzerennen, bei dem es auf bis zu 25°C raufging, sehr ordentlich.

Nach einer 1. Hälfte von 1:27:26 hatte ich also mit 1:31:26 genau vier Minuten verloren, aber das war mir ehrlich egal. Die zweites Streckenhälfte ist schwerer, es war heiß, ich musste kämpfen, aber ich habe es geschafft. Nicht jedes Rennen kann wie aus dem Lehrbuch klappen.

Ein weiteres Finish – eine weitere Topzeit
Die offizielle Statistik:
Official Time 2:58:52
Pace per Mile 06:50
Place Overall 618 of 47,745
Place Gender 48 of 21,160
(45-49) Place AgeGroup 1 of 2,796
(AUT) Place Country 2 of 126
Place Age-Graded 37 of 21,160
Time Age-Graded 2:46:22

Der 48 Rang unter allen Frauen und der Sieg in der Altersklasse haben mir wirklich große Freude bereitet und auch wenn ich mir im Ziel dachte „Nie wieder New York! Ich melde mich gleich wieder für Berlin an!“ war ich mit dem Rennen glücklich.

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